Naturtrailpark Dülmen

Schule der Balance

Über einen Besuch mit einem Shire Horse im Naturtrailpark in Dülmen

 

Anja Beckmann lerne ich auf einem Kurs mit Marius Schneider kennen. Ich glaube, es war sogar der Kurs bei Bent Branderup im März 2016. Anja erzählt mir mit großer Begeisterung von ihrem Trailpark und den positiven Auswirkungen auf die Balance, Kraft und Beweglichkeit ihrer Pferde. „Das hört sich spannend an, aber sind die Hindernisse auch Shire Horse tauglich?“, frage ich neugierig, aber skeptisch. Anja lacht und berichtet mir von Kemo, einem Pecheron, der alle Hindernisse bereits auf ihre Tauglichkeit überprüft hat. „Alle Hindernisse wurden von einem Experten gebaut und verfügen über eine Statik, die genaue Auskunft darüber gibt, bis zu wie viel Kilogramm unsere Hindernisse belastet werden dürfen“, klärt sie mich auf. Dann steht unserem Projekt nichts im Wege und bald ist ein Termin vereinbart. Da der Park sehr gut besucht ist und alle Kurswochenenden ausgebucht sind, bekommen wir nur noch in der Woche einen Termin. Zum Glück sind Ferien und meine Freundin kann sich auch den Termin frei schaufeln.

Am 8. August 2017 geht es morgens los. Maja und Luci verstehen sich so gut, dass sie zusammen Anhänger fahren können. Nach zwei Stunden erreichen wir den Trailpark. Die beiden Pferde wohnen luxuriös in ihrem eigenen Offenstall. Für die anderen Pferde gibt es Paddocks und Gastboxen.

In unserer ersten Runde ohne Pferde durch den Trailpark erklärt uns Anja die Hindernisse und die Herangehensweisen mit ihren verschiedenen Schwierigkeitsgraden. Ihr ist besonders wichtig, dass die Pferde mit ganz einfachen Aufgaben beginnen. „Oft finden die Pferdebesitzer die einfachen und kleinen Hindernisse zu wenig anspruchsvoll und unterschätzen sie“, erzählt Anja. „Bald bemerken sie aber, dass es für ihre Pferde psychologisch sehr wertvoll ist, mit diesen einfachen Aufgaben zu beginnen.“ Anja erklärt weiter, dass sie ihren Unterricht so aufbaut, dass die Pferde mit einfachen Dingen beginnen, so dass sie sich zunehmend mehr zutrauen. Der Schwierigkeitsgrad wird individuell angepasst auf das jeweilige Pferd so langsam gesteigert, dass sie sich nicht überfordert fühlen und stetig an Selbstvertrauen gewinnen. Bevor es in den großen Trailpark geht, werden alle Hindernisse auf dem Reitplatz auf diese Weise erarbeitet. Natürlich erst einmal an der Hand. Hier analysiert Anja wie die Pferde mit den Hindernissen umgehen, ob ihnen etwas Angst macht oder ob es irgendwo körperlich klemmt.

Bevor die Pferde an die Hindernisse herangeführt werden, spazieren wir mit ihnen erst einmal um diese herum. Während Maja unerschrocken und eher gelangweilt ihre Runden dreht, ist Luci im Alarmmodus. Alles ist schrecklich schlimm, die Hecke, die Vögel in der Hecke, die Holzstämme auf dem Boden, das Wasser, der Ausblick. Einfach alles ist schrecklich. Schnaubend und glotzend drehen wir unsere Runde. „Luci muss erst einmal ankommen, das wird schon“, macht Anja mir Mut und spricht aus Erfahrung. Während die anderen Pferde mit neuen Situationen souverän umgehen können, braucht Luci ihre Zeit, um sich an die neue Umgebung zu gewöhnen. Die anderen Pferde sind alle bereits angekommen nur der sanfte unerschrockene Riese ziert sich noch. „Luci hat beschlossen, dass hier etwas gefährlich ist. Du musst souverän und gelassen deine Runden drehen und abwarten, bis sie sich wieder beruhigt“, erklärt Anja und ergänzt, „Das geht vorbei, bei jedem Pferd ist es unterschiedlich.“ Nach einer gefühlten Ewigkeit wird Luci ruhiger, hört auf zu glotzen und wir können endlich anfangen. Früher hätten wir uns gegenseitig aufgeschaukelt. Ich wäre zunehmend unsicher geworden und hätte diese Gelassenheit nicht an den Tag bringen können. Jetzt habe ich das Gefühl, dass ich diese Krisen gelassen aushalten kann.

Die ersten Hindernisse sind noch recht einfach für uns. Wir steigen über Holzstangen, die eben noch wilde Monster waren, und über kleine Stege. Die erste Herausforderung ist der hohe Steg. Obwohl wir in unserem Offenstall viele Stufen haben, ist Luci bei diesem Hindernis erst einmal überfordert. Sie stellt ihren Huf nicht richtig auf die Plattform, weil sie wohl die Höhe unterschätzt hat. Nun fehlt die Kraft sich hoch zu drücken und das Shire stolpert irgendwie über das Hindernis. „Das Problem ist, sie verlässt sie auf dich, anstatt sich das Hindernis selber anzusehen und zu überlegen, wie es funktioniert“, erklärt mir Anja und zeigt mir, wie ich Luci dazu bringe, sich auf die Stufen zu konzentrieren. Der zweite Versuch gelingt uns noch nicht. Sie ist viel zu schnell und muss langsamer und mit Bedacht an die Aufgabe gehen. Daher schickt uns Anja noch mal zum Hindernis. Wir sollen noch langsamer gehen. Im dritten Versuch lasse ich sie nur mit den Vorderbeinen auf die Stufe, so dass sie an Anhalten denkt. Nun steht sie einmal richtig auf der Erhöhung und nimmt sie wahr. Jetzt hat sie raus, wie sie über das Hindernis kommt. „Diese Erfahrung war sehr wichtig für Luci, damit sie die anderen Hindernisse im Trailpark meistern kann“, erklärt Anja. Sie hat Recht, denn Luci stolpert bei den Stufen kein einziges Mal mehr.

Schließlich sind wir alle bereit, um in den großen Trailpark zu gehen und die „erwachsenen“ Hindernisse auszuprobieren. Das Stangenlabyrinth durchqueren wir erst in geraden und später in gebogenen Linien. Diese Übung stellt sich im Verlauf des Kurses als unsere Lieblingsaufgabe heraus. Hier ist alles gefragt: Luci muss konzentriert den Weg suchen, die Füße heben und Last mit der Hinterhand aufnehmen und sich biegen. Eigentlich rechnen alle damit, dass die Pferde das Hindernis schnell wieder verlassen. Tatsächlich scheint es so, als genießen sie diese Herausforderung.

Das Hindernis mit den großen dicken Baumstämmen hätte uns im Wald einen großen Schrecken eingejagt. Hier meistert Luci diese Aufgabe mit einer unendlichen Gelassenheit. Auch die kleine Brücke findet sie nicht schlimm. Obwohl ich wieder Zweifel haben, bestärkt mich Anja, dass Luci es schafft. Die großen Stufen auf den Wall sind schon wieder schwieriger. Anja analysiert und beobachtet genau wie die Pferde ihre Füße auf die Hindernisse stellen: „Luci weiß nicht so recht, wie sie ihre Hinterhand nutzen muss, um die Stufen zu erklimmen.“ Angepasst an ihre Fähigkeiten leitet uns Anja an und im Laufe der Übungen wird Lucis Herangehensweise besser. Da es etwas regnet wird die große Brücke für uns zu rutschig. Zweimal gehen wir drüber, beim dritten Mal möchte ich das Tempo rausnehmen und Luci rutscht mit der Hinterhand. Eigentlich nicht besonders viel, aber es reicht, um meine Angst wieder auflodern zu lassen. Anja bemerkt meine Unsicherheit und zeigt mir einen anderen Weg vom Wall herunter. Auch der Tunnel unter der Brücke macht uns Angst. Hier wird einmal mehr deutlich wie abhängig Luci von meinem inneren Bild und meiner inneren Einstellung zu den Dingen ist. Als ich unsicher werde und den Mut verliere, geht sie sofort in den Alarmmodus über. Eine wirklich wichtige und interessante Erfahrung für uns. Auf der Verdener International war ich mir ganz sicher, dass wir das alles schaffen. Dort hat Luci mir voll vertraut. Sie hatte zwar den ein oder anderen Gruselmoment, aber ich war so sicher und habe nicht gezögert. Nach dem Schreckmoment auf der Brücke habe ich Angst, dass ihr was passieren könnte. Diese Unsicherheit spürt sie sofort und ihre Unruhe verstärkt meine Sorge. Anja erarbeitet mit uns, wie wir uns bis an den Punkt des Tunnels heran tasten, der für uns eine positive Erfahrung bringt, so dass wir gestärkt und mit einem guten Gefühl und vor allem Erfolgserlebnis das Hindernis verlassen können. Während Luci mit der Brücke kein Problem hatte, zeigt sich hier, dass sie mit der Enge des Tunnels Schwierigkeiten hat. Anja rät mir zuhause einen Engpass zu bauen, z.B. mit Planen, um Luci Schritt für Schritt mit dieser Situation vertraut zu machen. „Wenn sie bereits 5 Meter vor dem Tunnel Angst bekommt, dann ist das euer erster Anlaufpunkt. Ihr arbeitet euch langsam näher heran, so dass Luci nicht überfordert wird, sondern lernt, dass ihr nichts passiert“, erklärt sie mir.

In unserer zweiten Einheit reiten wir das erste Mal über die Hindernisse. Jetzt müssen wir herausfinden, wie wir die Pferde sicher über die Hindernisse aus dem Sattel bringen. Natürlich beginnen wir erst im kleinen Trail. Das fühlt sich alles gut an. Luci geht gelassen auch über die hohe Stufe als ob sie nie etwas anderes gemacht hätte. Im großen Trail entsteht erst einmal wieder Unruhe bei Luci. Ich befolge Anjas Ratschläge und reite um die Hindernisse, bis sie wieder zurückkehrt. Langsam arbeiten wir uns von den einfachen zu den schweren Hindernissen. Wir reiten auch auf den Wall, aber erst einmal nicht über die Stufen. Die Brücke lassen wir auch weg, denn es regnet jetzt wirklich zu stark. Anja weiß genau, dass mir noch immer der Schreck in den Knochen steckt. Zum Schluss ist das Wasserhindernis an der Reihe. Diese Aufgabe meistert Luci mutig.

Wir schließen den ersten Tag erfolgreich ab und quatschen noch eine ganze Weile mit Anja und Michael. Am nächsten Tag festigen wir in der ersten Einheit was wir am Boden gelernt haben. Anja überprüft die Herangehensweise der Pferde an die Hindernisse. Bei Luci zeigt sich heute, dass sie ihre Hinterhand nun viel geschickter einsetzt, um die Stufen zu bewältigen.

Zur zweiten Einheit kommt die Sonne raus und wir reiten. Mir steckt noch ein bisschen die Sorge in den Knochen und prompt guckt sich Luci direkt am Anfang etwas Gefährliches aus. Angeblich sitzt ein gefährliches Monster in der Hecke. Also drehe ich meine Schrittrunden mit Luci. Sie springt rum, schnaubt und ist total aufgeregt. Eigentlich möchte ich aufgeben, aber Anjas Worte wandern durch meinen Kopf: „Es geht vorbei, sie wird merken, dass nichts passiert.“ Ich reiten stumpf meine Runden, immer im Kreis mit dem Gedanken – es geht vorbei. Das tut es auch. Von Runde zu Runde wird sie ruhiger, so dass wir die Hindernisse im kleinen Trail abreiten können.

Dann geht es zum Showdown in den großen Trail. „Zeigt, was ihr gelernt habt! Seid kreativ!“, grinst Anja. Also probiert jeder aus, was er gelernt hat. Martina stößt mit ihrer Paula zu uns. Sie war bereits im Trailpark und geht mutig los. Sie trabt und galoppiert durch das Wasserhindernis. Marina möchte das auch und obwohl Maja noch am ersten Tag keinen Fuß ins Wasser setzten wollte, schafft sie es durch das Wasser zu galoppieren. Ich möchte mich mal wieder drücken. Das ist mir irgendwie alles zu schnell. „Los! Erst mal im Trab“, feuert Martina mich an. „Luci kann das“, sagt auch Anja. Das klappt, aber Luci ist jetzt richtig wach. „Jetzt Galopp!“, meinen alle. Nun gut, ich würde mich ärgern, wenn ich es nicht probiere. Also trabe ich an und galoppiere in das Hindernis hinein. Was soll ich sagen? Sie hat es gemacht. Nicht nur Luci hat durchs Anjas Unterricht an Selbstvertrauen gewonnen, sondern auch ich bin zuversichtlicher geworden.

Jetzt sind die anderen ziemlich mutig geworden und wollen auf den Wall und über die Brücke. Mein Herz schlägt bis zum Hals. Das Ausrutschen auf der Brücke ist sofort in meinem Kopf. „Was ist, wenn sie sich erschreckt?“ Eigentlich möchte ich das nicht tun, aber ich weiß genau wie ich mich ärgere, wenn ich es nicht tue. Genau das wollte ich doch. Herausforderungen, die wir überwinden und daran wachsen. Ein Blick zu Anja hilft mir. „Ihr könnt das, Luci kann das.“ Ich glaube oft, dass wir etwas nicht schaffen. Mir ist bewusst, dass ich ein „Angsthase“ bin und mir zu viele Sorgen machen. Daher brauche ich Anjas Erfahrung und Wissen. Sie gibt mir Orientierung, so dass ich mein übertriebenes Angstgefühl unter Kontrolle bekomme. Genau deshalb bin ich hier in diesen Trailpark gefahren, um die Erfahrung zu machen, dass wir es doch können. Ich denke nicht mehr, ich schalte meinen Kopf aus. Wir schaffen das. Ich reite die erste Stufe schräg an, um danach den Weg rauf auf den Hügel zu nehmen. Unter mir arbeitet es, ich spüre Lucis Kraft und ihren Willen mir zu zeigen, dass wir das können. Auf dem Weg berghoch denke ich über die Brücke nach. Sollen wir das machen oder feige den Berg runter reiten. Ich weiß genau, wie sehr ich mich ärgere, wenn ich es nicht tue. Ich schalte meinen Kopf aus und glaube fest daran, dass Luci das kann. Sie kann mich über die Brücke tragen, sie wird nicht rutschen und sie wird keine Angst haben. Luci ist längst einen Schritt weiter als ich. Sie hat in diesem Kurs ihr Selbstvertrauen schon ausgebaut. Jetzt bin ich an der Reihe. Dann fühlt es sich an als ob jemand die Zeit angehalten hat. Ich schaue nach unten und sehe Martina mit einem breiten Grinsen im Gesicht. Dann sind wir drüber und Luci steigt geschickt den Berg wieder nach unten. Dort angekommen steige ich ab. Die anderen lachen und freuen sich. Ich freue mich auch, aber trotzdem laufen mir die Tränen. In diesem Moment wird mir bewusst, wie sehr wir uns entwickelt haben, wie weit der Weg ist, der hinter uns liegt, wie anstrengend und nervenaufreibend er gewesen ist. Es ist wie ein großer Stein, der uns so oft und über die Jahre den Weg versperrt hat und endlich aus dem Weg geräumt wurde. Wir haben langen daran herumgeschoben und gedrückt, gekämpft. Jetzt ist der Weg endlich frei für neue Abenteuer.

Auch wenn Martina jetzt protestiert, aber ohne sie hätte ich mich nicht so entwickeln können. Sie hat mir Mut gemacht und mir gesagt, dass wir das können. Sie hat an uns geglaubt und uns mit ans Meer genommen. In Hamburg hat sie mich mit ihrem Pferd die Messeatmosphäre erleben lassen.

„Die Basis ist wichtig und die Grundlage für alles!“, sagt Anja im Verlauf des Unterrichts immer wieder „Dann sind die Hindernisse gar nicht so schwierig.“ Uns hat ein wichtiger Baustein der Basis gefehlt. In diesem Kurs habe ich gelernt, wie ich zusammen mit Luci Gruselmomente überstehen kann. Für mich war es ein wichtiger Aspekt diese Momente auszuhalten und genau zu wissen, was uns hilft wieder gelassen zu werden. Luci hat ein neues Körpergefühl für ihre Hinterhand entwickelt, was uns sicher auch in der Arbeit auf dem Reitplatz weiterbringen wird. Vor allem haben wir beide an Selbstbewusstsein gewonnen.

Müde, aber einen großen Schritt weiter fahren wir am Mittwochnachmittag nach Hause. Unser Besuch im Trailpark hat sie gelohnt und es war so viel mehr als nur Spaß. Es war eine hervorragende Möglichkeit so viel über sich selber und sein Pferd zu lernen, die Chance zu nutzen, um sich zu entwickeln.

Der Trailpark ist definitiv Shire Horse tauglich und ich kann nur jedem ans Herz legen einen solchen Park zu besuchen. Man lernt sich und sein Pferd einfach noch einmal neu kennen.

 

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